Antiosteuropäischer- und Antislawischer Rassismus
Antiosteuropäischer Rassismus ist ein Bündel abwertender Zuschreibungen zum geografischen Raum Mittel- und Osteuropa, dem Balkan und seinen Bewohner:innen.
Antislawischer Rassismus oder Antislawismus bezieht sich auf den rassistischen Diskurs, der seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts „Slawen“ als eine eigene, minderwertige „Rasse“ konstruiert.
Bei beiden Rassismusformen geht es jeweils um Fremdzuschreibungen, die nicht den Selbstbeschreibungen der Menschen entsprechen, die damit gemeint sind.
Woher kommen Antiosteuropäischer / Antislawischer Rassismus?
Schon in der Aufklärung galt „Osteuropa“ im westlichen Denken als eine rückständige Zwischenwelt zwischen dem Westen und dem „Orient“. Im pseudo-wissenschaftlichen rassistischen Diskurs, der sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte, wurden speziell die „Slawen“ als eine eigene „Rasse“ konstruiert, deren „Weißsein“ zwar nicht in Frage stand, die aber dennoch als minderwertig konstruiert wurden.
Der Rassismus gegen Menschen aus Osteuropa wird daher auch häufig als „antislawischer“ Rassismus oder „Antislawismus“ bezeichnet. Mehr zur Entstehung der besonderen Rassismusvarianten findet ihr im Artikel: Geschichte und Gegenwart des antiosteuropäischen Rassismus und Antislawismus.
Wer ist von Antiosteuropäischen / Antislawischen Rassismus betroffen?
Antislawischer bzw. Antiosteuropäischer Rassismus kann sich pauschal gegen die Bevölkerung von Ländern wie Polen, Tschechien, Russland, Ukraine, Serbien, Bulgarien usw. richten oder gegen Menschen, denen die nationale oder ethnische Zugehörigkeit zu einem dieser Länder zugeschrieben wird.
Menschen mit Migrationsgeschichte aus dem östlichen Europa machen mit über 9,5 Millionen rund 40 Prozent aller in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund und rund ein Neuntel der Gesamtbevölkerung aus.
White but not quite
Rassismus wird häufig als ein „weißes“ Phänomen gedacht, von dem ausschließlich „People of Color“/BIPOCs (Black, Indigenous, People of Color) betroffen sind. Entsprechend könnten „weiße“ Menschen keinen Rassismus erleiden. Im Verständnis der Critical Whiteness Studies beziehen sich die Kategorien „schwarz“ und „weiß nicht nur auf Äußerlichkeiten, sondern sie bezeichnen Zuschreibungen und gesellschaftliche Machtverhältnisse. Dennoch wird Rassismus oft auf Äußerlichkeiten reduziert.
Weiße Menschen können keinen Rassismus erfahren, heißt es. Das verkennt die Realität von Osteuropäer:innen und/oder Slaw:innen. Sie erfahren Rassismus, nicht weil, sondern obwohl sie weiß sind. (Osteuropa Impulse für die Bildungsarbeit)
Mangelndes Bewusstsein für Antiosteuropäischen und Antislawischen Rassismus
In Deutschland mangelt es an Bewusstsein für Rassismus gegen Menschen mit Bezügen zu Osteuropa und Russland, das zeigt eine Befragung des Nationalen Rassismusmonitors:
Am seltensten werden Situationen als rassistisch wahrgenommen, wenn es osteuropäische Menschen betrifft (44 % stimmen „voll und ganz“, 26 % „eher“ zu). Dies kann daran liegen, dass osteuropäische Menschen als ‚weiß‘ gelesen werden und Rassismus vor allem als etwas wahrgenommen wird, dass ‚nichtweiß‘ markierte Menschen betrifft. Das Bewusstsein, dass es antislawischen Rassismus gibt, mag zudem im kollektiven Wissensarchiv nicht so stark präsent sein.
Mit der Ausweitung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 erfahren antiosteuropäischer und antislawischer Rassismus verstärkt Aufmerksamkeit. Anfeindungen russischsprachiger Menschen in Deutschland sind real, werden aber auch instrumentalisiert.
Antiosteuropäischer und antislawischer Rassismus sind noch kein selbstverständlicher Bestandteil der Diskussionen über Rassismus in Deutschland. Es mangelt an Bewusstsein für die Bedeutung des Themas. Notwendig ist eine „Osterweiterung der Erinnerung“ und damit auch der Rassismusdebatte, so Mark Terkessidis in seinem Buch: „Wessen Erinnerung zählt? Koloniale Vergangenheit und Rassismus heute“.
Woher kommen Antiosteuropäischer / Antislawischer Rassismus?
Antiosteuropäischer und antislawischer Rassismus sind tief in der deutschen Geschichte verwurzelt. Schon in der Aufklärung galt „Osteuropa“ im westlichen Denken als eine rückständige Zwischenwelt zwischen dem Westen und dem „Orient“.
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gingen Antiosteuropäischer und antislawischer Rassismus mit einem kolonialen Verhältnis Deutschlands zu Osteuropa einher.
Im pseudo-wissenschaftlichen rassistischen Diskurs, der sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte, wurden speziell die „Slawen“ als eine eigene „Rasse“ konstruiert, deren „Weißsein“ zwar nicht in Frage stand, die aber dennoch als minderwertig konstruiert wurden. Seinen Höhenpunkt erreichte der Antislawische Rassismus in der NS-Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg.
Über Jahrzehnte kultivierte negative Stereotype vom „Osten“
Antikommunismus, „Polenwitze“, die restriktive Handhabung von Migration im Zusammenhang der EU-Osterweiterung und rassistische Gewalt gegen osteuropäische Migrant:innen sprechen dafür, dass antiosteuropäische und antislawische Ressentiments bis heute wirkmächtig sind. (Panagiotidis/Petersen: EXPERTISE)
Zu den negativen Stereotypen über Menschen aus Mittel-Osteuropa tragen auch die Osteuropabilder der westlichen Popkultur bei. Wer einmal darauf achtet, merkt schnell, wie viele Bösewichte osteuropäisch oder russisch sind: vom Animationsfilmen wie „Pets 2“ über „James Bond“ und „Stirb langsam“ bis hin zu „The Grand Budapest Hotel“. Auch im Tatort haben auffallend viele Kriminelle einen Akzent slawischer Sprachen. Aber auch die Medienberichterstattung in Deutschland über osteuropäische Staaten ist oft wenig differenziert und von einer gewissen Überheblichkeit gekennzeichnet, die auch „Westsplaining“ genannt wird.
Wie äußert sich Antiosteuropäischer und Antislawischer Rassismus?
Nicht wenige Migrant:innen aus Mittel-Osteuropa, darunter auch Spätaussiedler:innen und jüdische Kontigentflüchtlinge finden sich in der deutschen Arbeitshierarchie weit unten wieder. Überdurchschnittlich viele von ihnen arbeiten in prekären und körperlich anstrengenden Arbeitsverhältnissen in der Landwirtschaft, Fleischindustrie in der Lagerlogistik, auf Baustellen, als Sexarbeiterinnen, in der Gastronomie oder als Pflege- oder Reinigungskräfte. Auch der Antiosteuropäische Rassismus ist daher intersektional verschränkt mit anderen Diskriminierungsformen, insbesondere Klassismus und Sexismus.
Menschen mit mittel-osteuropäischen Biografien erfahren Diskriminierung aufgrund ihres Akzents, ihrer Nachnamen und bekommen im Zweifelsfall die Wohnung nicht, für die sie sich bewerben. Solche Erfahrungen von Abwertung verbinden sie mit anderen migrantischen Gruppen und Menschen in der Bundesrepublik.
Akzent-Bias – Abwertung der Sprache oder des Akzents
Mit der Einschätzung der Sprache oder des jeweiligen Akzents werden Assoziationen erweckt, welche auf früheren Erfahrungen und Stereotypen über die Herkunftsländer oder Herkunftsregionen der Sprachen basieren. In der Folge können diese unsere Wahrnehmung von, sowie unser weiteres Verhalten gegenüber der Person beeinflussen. Bestimmte Sprachen und Dialekte werden für klüger, statushöher und attraktiver gehalten, andere dagegen als ungebildeter oder unsympathischer. Englisch, Französisch oder Spanisch werden z.B. durchaus geschätzt, aber Russisch, Polnisch oder Serbo-Kroatisch eher abgewertet.
Linguistic Insecurity
Wenn immer wieder negative Reaktionen auf die eigene Sprache oder auf die eigene Art und Weise zu sprechen erfolgen, kann ein negativen Bilds der eigenen Sprache entstehen. Dieses kann tiefe Verunsicherung und andauerndes Unbehagen wegen der eigenen Art zu sprechen auslösen.
Die Abwertung der Muttersprache kann bei Kindern zur Folge haben, dass sie sich mit einem wichtigen Teil ihrer Identität nicht akzeptiert fühlen. Das kann bei Kindern wiederum zum Aufgeben ihrer Muttersprache führen, oder dazu, dass Eltern die eigene Sprache nicht weitergeben möchten. Beides ist eine verpasste Chance für die zukünftige Entwicklung des Kindes.
Antiosteuropäischer Rassismus und Jugendarbeit
In Unterfranken leben viele Spätaussiedler-Familien, in einigen Orten und Stadtteilen in enorm hoher Konzentration. Dort stammen manchmal über die Hälfte der Jugendlichen aus Deutsch-Russischen Familien. In den letzten Jahren sind außerdem viele ukrainische Jugendliche nach Unterfranken geflohen. Aber auch Jugendliche mit Migrationsbiografien und familiären Verbindungen zu anderen Ländern Mittel-Osteuropas finden sich häufig in unseren Jugendzentren und Jugendgruppen.
Die Jugendarbeit ist kein Rassismusfreier Raum. Auch hier finden leider Verletzungen und Ungleichbehandlungen statt. Aber die Jugendgruppe bietet auch die Möglichkeit, ein faires und wertschätzendes Miteinander zu lernen. Hier ein paar Punkte, die ihr als Gruppenleitung beachten könnt, um antiosteuropäischem Rassismus zu begegnen.
Umgang mit Stereotypisierung
Schubladendenken, platte Sprüche und dumme Witze gibt es in nahezu jeder Jugendgruppe. In Gruppen mit verschiedenen Herkunftsbiografien ist es jedoch besonders verlockend, einzelne Mitglieder über die Herkunft einzuordnen. Jugendliche mit Migrationsbiografien aus Mittel- Osteuropa erleben das am eigenen Leib. Viele sind immer wieder Diskriminierungen und Rassismus ausgesetzt.
Pauschalisierungen und Vorurteile sind so alltäglich, dass viele Menschen sie gar nicht bemerken. Die Jugendgruppe kann ein Ort sein, wo darauf geachtet wird. Spielerisch und mit Augenzwinkern können verallgemeinernde Aussagen beständig widergespiegelt und hinterfragt werden.
Diskriminierungen wahrnehmen, ernst nehmen, handeln …
Innerhalb jeder Gruppe kann es zu persönlichen Verletzungen und diskriminierendem Verhalten kommen. Auch im Bezug auf antiosteuropäischen Rassismus sollten Verantwortliche die Jugendlichen darin unterstützen, Diskriminierungen zu erkennen und ernst zu nehmen. Osteuropäischer Rassismus und Diskriminierungen müssen erkannt, benannt und thematisiert werden.
Egal ob groß oder klein, verbal oder körperlich, bei Diskriminierungen in der Jugendarbeit muss von den Verantwortlichen konsequent eingegriffen werden, sofort oder später. Der erhobene Zeigefinger ist dabei allerdings kein guter Lehrer. Moralisierungen „von oben herab“ werden von Jugendlichen eher als Demütigung erlebt. Sie eignen sich nicht, um nachhaltige Lernprozesse anzustoßen. Es geht in erster Linie darum, anlässlich einer entsprechenden Situation darauf hinzuweisen, dass gerade eine verletzende Diskriminierung stattgefunden hat. Ziel sollte sein, einen Lernprozess für ein besseres und wertschätzendes Miteinander anzustoßen.
Umgang mit Verletzungen
Falls sich eine Person diskriminiert fühlt, sollte sie unbedingte und sofortige Unterstützung durch die:den Verantwortliche:n erfahren. Ihr sollte außerdem die Möglichkeit gegeben werden, sich selbst zu äußern oder in einem von ihr gewünschten Rahmen vertieft darüber zu sprechen. Bei der Thematisierung der Situation in der Gruppe sollte immer darauf geachtet werden, dass nicht
auf Kosten der betroffenen Person gelernt wird. Sie sollte zum Beispiel nicht in die Lage kommen, ihr Erleben der Situation rechtfertigen zu müssen.
Anlaufstellen für Betroffene
Die Antidiskriminierungsberatung nimmt Jugendliche und ihre Erfahrung ernst. Sie können die erlebte Diskriminierung melden und erhalten Beratung zum Umgang damit.
Repräsentanz und Identifikationsfiguren
Menschen mit eigener Migrationsbiografie oder Fluchterfahrung können für Jugendliche die antiosteuropäischen Rassismus erleben wichtige Ansprechpartner:innen, Role-Models oder Impulsgeber:innen sein. Sie können diese Jugendlichen besonders gut bei Diskriminierungserfahrungen unterstützen und Vorbilder im Umgang damit sein.
Post-Ost-Community
Mittlerweile sprechen immer mehr Vertreter:innen betroffener Gruppen öffentlich über antiosteuropäischen und antislawischen Rassismus: Junge Aktivist:innen, die sich als „PostOst“ bezeichnen, erzählen auf Social Media über ihre Erfahrungen. Auch in der Literatur schreiben Autor:innen wie Lena Gorelik, Dmitrij Kapitelman oder Natascha Wodin über ihr Leben in Deutschland, aber auch darüber, wie sie Ablehnung bis hin zu Rassismus erfahren haben.
Hier ein paar Links zur Post-Ost-Community:
Eigene Wissensstände, Einstellungen und Reaktionsmuster reflektieren
Als Multiplikator:innen leben wir den Jugendlichen Haltung vor. Daher ist die kritische Selbstreflexion auch in Bezug auf unsere Einstellungen zu Ländern in Mittel- und Osteuropa und ihren Menschen fundamental für den wertschätzenden Umgang mit Jugendlichen, die zu diesen Ländern und Menschen einen engeren Bezug haben.
Hinschauen, zuhören – dranbleiben
Wir als deutsche Gesellschaft, in den Schulen und in außerschulischen Lerneinrichtungen, müssen wieder genauer hinschauen; in die Ukraine, in den Krieg, nach Osteuropa. Wir müssen es systematisch und beständig tun […] (Osteuropa Impulse für die Bildungsarbeit)
Hier ein paar Tipps, um eigenen antiosteuropäischen Stereotypen zu begegnen und die östlichen Nachbarregionen stärker in den Blick zu bekommen:
- Reise (auch privat) in den Osten!
- Lerne ein paar Brocken einer slawischen Sprache!
- Wende dein Interesse nach Osten: Besuche Veranstaltungen, Filme zu Mittel- und Osteuropa
- Erkenne, wieviel Mittel- und Osteuropa in unserer Gesellschaft „steckt“!
Begegnungen ermöglichen
Aber nicht nur die Jugendgruppenleiter:innen sollten stärker in die östlichen Nachbarregionen schauen. Auch für Jugendliche gilt es Begegnungen und Austausch zu ermöglichen oder wiederzubeleben und Netzwerke gen Osten ausweiten.
Warum nicht mal eine Gruppenfahrt oder Jugendbegegnung nach Tschechien, Polen oder andere Länder Mittel- Osteuropas planen? Hier haben die Jugendlichen die Möglichkeit neue Erfahrungen zu sammeln und unreflektierte Bilder und Stereotype zu Mittel- und Osteuropa aufzubrechen.
Fördermittel und Know-How bieten z.B. das DPJW, Tandem, Deutsch-Russischer Jugendaustausch, MitOst, Stiftung West-Östliche Begegnungen und Erasmus+.