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Adultismus

Erwachsene halten sich oft allein aufgrund ihres Alters für intelligenter, kompetenter, schlicht besser als Kinder und Jugendliche und setzen sich daher über deren Meinungen und Ansichten hinweg. Manuela Ritz

Adultismus heißt diese Form der Ungleichbehandlung. Es ist oft die erste Diskriminierungsform, die Menschen erleben und eine der wenigen, die tatsächlich alle in den Jugendjahren selbst erfahren. Adultismus ist eine Form von Altersdiskriminierung.

Der Begriff leitet sich von dem englischen Begriff „adult“ für „Erwachsen“ ab und benennt das ungleiche Machtverhältnis zwischen sogenannten "Erwachsenen“ und Kindern und Jugendlichen. Für die Abwertung von Jugendlichen kann man auch den noch spezielleren Begriff "Epiphanismus" verwenden.

Wo findet sich Adultismus?

Adultismus kann sich überall dort finden, wo Kinder und Jugendliche auf Erwachsene treffen. Das kann in der Familie sein, aber auch im Kindergarten, der Schule oder der Jugendarbeit. Hier haben Erwachsene oft mehr Macht und Möglichkeiten ihren Willen und ihre Interessen durchzusetzen.

Wie äußert sich Adultismus?

Beispiele für adultistisches Verhalten reichen von offensichtlichen Formen wie körperlicher Gewalt, Bestrafung und lauter Beschimpfung bis hin zu versteckteren Formen wie ungefragtes Belehren, Beschämen, Unterbrechen, Belächeln, Liebesentzug, Schuldzuweisungen und Gesprächen oder Blicken der Erwachsenen untereinander in Bezug auf Kinder und Jugendliche.

Typische verbale Äußerungen von Erwachsenen, gegenüber Kindern oder Jugendlichen, die auf eine adultische Haltung verweisen sind z.B.: Das ist nichts für Kinder; Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt; Mach nicht so ein Theater; Erzähl nicht solchen Unsinn; Geh in dein Zimmer; Ich warne dich; Mein liebes Fräulein; Keine Widerrede; Ab ins Bett; Das werde ich deinen Eltern erzählen; Stell dich nicht so an; Finger weg; Muss ich dir alles dreimal sagen? ...

Diese und ähnliche Äußerungen gegenüber Kindern und Jugendlichen zeigen ein deutliches Machtgefälle und würden wohl kaum gegenüber anderen Erwachsenen verwendet. Die Äußerungen skizzieren auch, dass Erwachsene für junge Menschen Regeln machen, die sie selbst aber nicht befolgen.

Hier eine Übersicht von Privilegien, also Vorrechten, die Erwachsene oft genießen, während sie vielen Kindern und Jugendlichen verwehrt sind:

Das Bild listet Privilegien Erwachsener auf.

Wie in der Übersicht schon erwähnt, gibt es Gesetze, die Kindern und Jugendlichen weniger Rechte einräumen. Besonders prominent ist hier das Wahlrecht, welches je nach Wahl oder Bundesland erst ab 18 oder 16 Jahren gewährt wird. Hier wird oft unterstellt, dass Jugendliche unter 18 nicht in der Lage sind eine reflektierte Wahlentscheidung zu treffen. Verschiedene Studien und die Kommission zur Reform des Bundeswahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit haben diese adultistischen Vorurteile mittlerweile eindrucksvoll widerlegt.

Ein weiteres Beispiel für Adultismus im Alltag sind Gebäude und Räume, die lediglich an die Körpergröße von Erwachsenen angepasst sind. Kinder werden so bei der Nutzung von Treppen, Stühlen, Toiletten, Lichtschaltern, Türklinken usw. behindert und benachteilig. Die Normen und Form der Gestaltung unserer Alltagswelt verstärkt dadurch die Abhängigkeit junger Menschen.

Als subtilere Normen, mit denen Erwachsene Kindern und Jugendlichen abwerten, benennt die Adultismus Trainerin Manuela Ritz aber auch Haltungen und Werte, die das Verhalten der sogenannten Erwachsenen als besser, oder wichtiger bewerten:

  • Vernunft ist besser als Emotionalität
  • Wissen ist wichtiger als Fantasie
  • Gesunder Menschenverstand ist besser als Träumen
  • arbeiten ist besser als spielen
  • usw.

Auch im Sprachgebrauch findet sich Adultismus. Wörter mit „Kind“ sind oft mit negativen Konnotationen verbunden, wie z.B. eine „kindliche“ Stimme, Kindskopf etc.. Das Wort „kindisch“ wird z.B. durchweg als negativ verstanden und dient zur Abwertung des so bezeichneten Verhaltens.

Warum Adultismus Diskriminierung normalisiert

Eine der vielleicht weitläufigsten und gefährlichsten Auswirkungen von Adultismus ist, dass er die Grundlage für verschiedene weitere Diskriminierungsarten bildet.

„Kinder lernen früh –und zwar von den Menschen, die sie lieben – dass Unterdrückung in Ordnung ist.“ NCBI Schweiz & Kinderlobby Schweiz: Not 2 young 2 – Alt genug um. Rassismus und Adultismus überwinden, 2004, Seite 12

Durch das scheinbar so normale hierarchische Machtverhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern, lernen junge Menschen von Anfang an, „dass es „normal“ ist, dass es ein „Oben“ und ein „Unten“ gibt und dass es erstrebenswert ist, „oben“ zu sein“. Dieses Schema der Ungleichwertigkeit kann dann dazu führen, dass auch andere Formen der Diskriminierung nicht als Problem wahrgenommen werden und dass dieses Muster dann auf andere Gruppen übertragen und angewandt wird.

Auf der anderen Seite kann die Auseinandersetzung und Thematisierung von Adultismus mit Kindern und Jugendlichen auch die Möglichkeit bieten, Diskriminierungen und andere Diskriminierungsformen verständlicher zu machen.

Adultismus in der Jugendarbeit?

Die Jugendarbeit ermöglicht eine Begegnung von Jugendlichen und Erwachsenen jenseits von Familie und Schule. Im Gegensatz zur Schule, welche als Institution von „Erwachsenen“ erdacht, Kinder und Jugendliche strukturell und systematisch „Erwachsenen“ unterordnet und unterwirft, ist Jugendarbeit freiwillig. Ob es hier allerdings tatsächlich zu einer Begegnung auf Augenhöhe kommt, liegt an den Ehrenamtlichen und Fachkräften, die Gruppenstunden und Aktivitäten begleiten.

Hier ein paar Reflexionsfragen, um die eigene Jugendarbeit im Bezug auf Adultismus zu hinterfragen.

  • Wer entscheidet im Jugendzentrum oder in der Jugendgruppe über die Gestaltung und Zugänglichkeit von Räumen, über Regeln und Sanktionen, über die Anschaffung von Materialien?
  • Wer plant und konzipiert die Angebote für die Jugendlichen?
  • Wer leitet die Gruppenaktivitäten?
  • Wer darf politische Entscheidungen treffen, bzw. wer vertritt die Ortsgruppe/den Verband als Delegierte:r in relevanten Gremien?

Die Frage ist, inwieweit Erwachsene in der Jugendarbeit ihre eigenen Vorstellungen und Interessen durchsetzen, bzw. inwieweit Jugendliche als vollwertige Akteure auftreten und auch in entscheidenden Positionen Verantwortung übernehmen.

Was kann ich gegen Adultismus tun?

Wichtig ist vor allem die eigenen Vorteile und den Einfluss gegenüber Kindern und Jugendlichen zu reflektieren und mit der eigenen Macht verantwortungsvoll umzugehen. Dazu gehört auch das bewusste Abgeben von Macht, in dem Kinder und Jugendliche in ihrer Lebenswelt mitentscheiden dürfen.

Die Bedürfnisse, Perspektiven und Kompetenzen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen können sich unterscheiden. Häufig geht es auch um den Schutz von Kindern und Jugendlichen, z.B. wenn das Jugendschutzgesetz die Abgabe von Alkohol an Minderjährige untersagt.

Manches können Kinder oder Jugendliche tatsächlich noch nicht – hier brauchen sie Hilfe. Die Kunst besteht allerdings darin, zu erkennen, ab wann sie es doch selbst können.

Auf der anderen Seite können "Erwachsene" aber Dinge nicht mehr – wo sie die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen benötigen. Familien, Schule und Jugendarbeit tun gut daran, die spezifischen Potentiale und Perspektiven von Kindern- und Jugendlichen wahrzunehmen und zu nutzen.

Kinder und Jugendliche können oft mehr, als ihnen zugetraut und zugestanden wird. Folgende Reflexionsfragen können hilfreich sein, um als "Erwachsener" zu erkennen, ob es bei dem eigenen Verhalten um Schutz und Fürsorge, oder um Macht geht:

  • Welche Regeln gelten für Kinder, die für Erwachsenen nicht gelten? Und warum?
  • Dient mein Verhalten wirklich dem Schutz eines jungen Menschen, oder ist es so vor allem einfacher und bequemer?
  • Stehen Sanktionen wirklich im Zusammenhang mit einem Problem oder soll es vor allem eine Strafe für unerwünschtes Verhalten sein?
  • Welche Möglichkeiten gibt es für Kinder und Jugendlichen die Regeln zuhause, in der Kita, in der Schule oder im Jugendzentrum mitzubestimmen?

Mit diesen Fragen begibt man sich auf einen Weg, den Manuela Ritz als „kritisches Erwachsensein“ bezeichnet.

Schritte zum kritischen Erwachsenen

Manuela Ritz gibt in ihrem Buch viele Hinweise, wie dieser Weg beschritten werden kann. So formuliert sie zum Beispiel 30 Schritte zur kritischen Erwachsenen. Die ersten vier Schritte lauten:

  1. Mach dir bewusst, dass du erwachsen bist und auch so wirkst, denn diese Position verleiht dir Macht und Macht verlangt nach einem Bewusstsein für Verantwortlichkeit.
  2. Mach dir klar, welches Menschenbild du von jungen Menschen hast.
  3. Stell dein Menschenbild in die Ecke und lerne jeden jungen Menschen, der in dein Leben tritt, vorurteilsfrei kennen.
  4. Mach dir bewusst, welche erwachsenen-spezifischen Privilegien du hast.

[Manuela Ritz / Simbi Schwarz: Adultismus und kritisches Erwachsensein, Unrast 2022, S. 252]

„Jung, dynamisch, diskriminiert – Altersdiskriminierung und Jugendarbeit“

In unserem Online-Talk haben wir mit Jugendlichen über ihre Wahnehmung von Adultismus und Machtungleichheiten in Schule, Gesellschaft und Jugendarbeit gesprochen:

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Weiterführende Ressourcen

Literatur

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Videomitschnitt Vortrag Manuela Ritz: Adultismus und kritisches Erwachsensein

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